Kleinkind klettert auf einen Fels

Mehr Resilienz und mentale Stärke – die Lösung gegen Stress?

Der Weg zum Erfolg ist in aller Regel kein entspannter Spaziergang, sondern eine unwegsame Berg- und Talfahrt. Immer wieder stehen wir vor neuen Herausforderungen, für die wir Lösungen finden müssen. Stress entsteht, wenn wir glauben, einer Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Ganz generell ist Stress sogar gut und wichtig, denn er fokussiert uns darauf, effizient zu einer Lösung zu finden. Kurzfristig ist er auch kein Problem. Aber als Dauerzustand ist Stress weder der Lebensqualität noch der Gesundheit zuträglich. Was also braucht es, um den Weg zum Erfolg zu gehen, ohne dabei permanent in Stress zu geraten?

„More than education, more than experience, more than training, a person’s level of resilience will determine who succeeds and who fails. That is true in the cancer ward, it’s true in the Olympics, and it’s true in the boardroom.” Dieser Satz, der aus einem 20 Jahre alten Artikel von Diane Coutu im Harvard Business Review stammt, hat mich neugierig gemacht.

Was genau ist mentale Stärke und Resilienz, und warum sind sie so wichtig? 

Wir leben in einer Zeit, in der sich die Räder immer schneller drehen. Vieles, was früher als sicher galt, ist unsicher geworden, und eine Krise geht gefühlt nahtlos in die nächste über. Ob Digitalisierung, Klimawandel oder New Work – wo wir auch hinblicken, die Zeichen stehen auf Veränderung. In diesen Veränderungen liegen aber auch fantastische Chancen.

Kein Wunder also, dass der konstruktive Umgang mit Veränderungen und Herausforderungen entscheidend dafür ist, in dieser Welt erfolgreich zu sein. Je mehr Unsicherheit, Veränderung und Herausforderung die Welt da draußen bietet, desto wichtiger ist innere Stärke, Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit! Und genau darum geht es bei mentaler Stärke und Resilienz!  

Mentale Stärke heißt an erster Stelle, an die eigene Leistungsfähigkeit zu glauben.

Mental starke Menschen sind davon überzeugt, Lösungen für anstehende Herausforderungen zu finden. Sie bleiben auch in schwierigen Situationen positiv und konstruktiv, Stress kommt bei Ihnen entsprechend selten auf. In einer Arbeitswelt, in der Eigenständigkeit, Flexibilität und Agilität gefordert sind, sind das zentrale Schlüssel zum Erfolg.

Unter Resilienz wird die Widerstandskraft einer Person oder Organisation verstanden.

Damit ist gemeint, Belastungen aushalten zu können und aus Rückschlägen gestärkt hervorzugehen. Im Film erklärt Hollywood-Legende Rocky Balboa seinem Sohn den Boxkampf wie folgt: „Der Punkt ist nicht, wie hart einer zuschlagen kann. Es zählt bloß, wie viele Schläge er einstecken kann, und ob er trotzdem weitermacht. Nur so gewinnt man!“

Auch wenn es hoffentlich bei unserer täglichen Arbeit nicht im wörtlichen Sinne darum geht, wie viele „Schläge“ wir einstecken können – das Prinzip der Resilienz ist damit gut erklärt. Auch in der Arbeitswelt entscheidet über den Erfolg, wie gut wir mit Belastungen umgehen, dass wir trotz Gegenwind weitermachen, aus Fehlern lernen und aus Krisen letztlich gestärkt hervorgehen. Denn Fehler und Rückschläge sind nicht nur völlig normal, sie sind Voraussetzung dafür, dass wir lernen, Neues entdecken und Innovationen entwickeln.

Zum Glück besteht der Berufsalltag nicht nur aus einer einzigen Reihe von Fehlern und Rückschlägen, von denen wir uns erholen müssten. Meist ist es die Summe vieler kleinen Dinge, die unsere Resilienz in Anspruch nehmen. Bei einer Befragung von 835 Beschäftigen in Großbritannien sagten 75% der Befragten, die größten Belastungen in ihrem Arbeitsalltag seien der Umgang mit schwierigen Personen und politische Spielchen in ihrer Organisation. Dicht gefolgt von Stress aufgrund einer zu hohen Arbeitsbelastung. Wer das Arbeiten in einem Unternehmen kennt, wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit nachempfinden können.

Was charakterisiert resiliente Menschen und unterscheidet sie von anderen?

Diane Coutu definiert dies in ihrem Artikel “How Resilience Works” wie folgt: Resiliente Menschen ebenso wie resiliente Organisationen zeichnen sich durch drei Dinge aus – sie akzeptieren die Realität, sie haben die tiefe Überzeugung, dass alles im Leben einen Sinn hat, und sie haben eine unglaubliche Fähigkeit, zu improvisieren und scheinbar aus dem Nichts Lösungen zu entwickeln.  

Anders ausgedrückt: resiliente Menschen akzeptieren eine schwierige Situation oder einen Fehler, sie analysieren, was sie hätten besser machen können, lernen daraus und erkennen, welche Chancen in der Situation liegen. Dann haken sie die Vergangenheit ab und blicken konstruktiv nach vorn. Akzeptieren – Analysieren – Abhaken – so einfach kann es sein. Resiliente Menschen verschwenden keine Energie auf der Suche nach Schuldigen, sie lamentieren und beschweren sich nicht über Dinge, die nicht zu ändern sind. Stattdessen stehen sie wieder auf, bleiben positiv, konstruktiv und handlungsfähig. Das macht den Unterschied aus!  

Die gute Nachricht ist: beides, mentale Stärke und Resilienz, kann man gezielt entwickeln.

Wie das geht? Indem wir lernen, positiv mit uns selbst zu sprechen und umzugehen, und unser Gehirn darauf zu trainieren, in stressigen Situationen gelassen zu reagieren.

Mentale Stärke ist das Ergebnis von persönlichen Überzeugungen, Einstellungen und Denkprozessen, die uns Vertrauen in das eigene Leistungsvermögen geben und die Zuversicht, Hindernisse zu bewältigen. Diese Überzeugungen und Einstellungen sind nichts anderes als starke, positive Glaubenssätze über uns selbst und die Welt, in der wir uns bewegen. Es ist diese Stimme in unserem Kopf, die uns stärken kann, durch ermutigende, positive Botschaften. Sie kann uns aber auch entmutigen und niedermachen, indem sie ständig herumnörgelt, alles schlecht macht und uns klein redet. Mentale Stärke aufbauen heißt also, unseren inneren Kritiker zum konstruktiven Coach zu befördern. Im Mentaltraining gibt es eine Reihe von Techniken, mit denen wir die Grundlage für starke, positive Glaubenssätze legen können. Der Rest ist Übungssache!

Resiliente Menschen hören auf ihre eigenen Bedürfnisse und erlauben sich, sie zu erfüllen.

Resiliente Menschen achten zudem auf ihre Gedanken und Gefühle, setzen Grenzen und stellen sicher, dass ihre Batterien nicht völlig leerlaufen. Genau daraus entwickelt sich die oben beschriebene positive, konstruktive und auf sich selbst vertrauende Haltung, die Resilienz als dauerhafte Widerstandskraft gegen Belastungen, Stress und Rückschläge ausmacht.

In akuten Stresssituationen gelassen bleiben – auch das ist eine wichtige Fähigkeit resilienter Menschen. Im täglichen Job-Wahnsinn ist das ebenso wichtig wie die stärkende innere Stimme. Das Gehirn hat einen eigenen Mechanismus, um mit akuten Stresssituationen umzugehen. Ob wir uns gerade über etwas ärgern, die Zeit drängt oder mal wieder alles zu viel ist – im Gehirn übernimmt in diesen Situationen die Amygdala, eine Region, die unter anderem unser Gefahrenradar und der Auslöser für den „Fight-or-Flight-Modus“ ist. Sie blockiert dabei unser Zentrum für rationales Denken, den präfrontalen Cortex, und wir gehen auf Autopilot. Dann sagen und tun wir oft Dinge, die sich später meist als nicht so richtig schlau entpuppen.

Der neuronale Schlüssel zu Resilienz im Alltagsstress ist daher, wie schnell es uns gelingt, aus diesem Autopiloten-Modus wieder auszusteigen.

Jon Kabat-Zinn, einer der Begründer der modernen Achtsamkeitslehre, zeigt, wie das geht. Er hat eine Technik entwickelt, mit der man sein Gehirn darauf trainiert, sich voll auf den Moment zu konzentrieren und alles wahrzunehmen, was gerade passiert, aber nicht zu reagieren. Die wandernde Aufmerksamkeit wird dabei immer wieder zurück auf den eigenen Atem gerichtet und so zentriert. Die Technik erfordert etwas Übung, empfohlen werden 30 Minuten täglich für 8 Wochen. Die Belohnung aber ist ein messbarer Erfolg: danach gelingt es tatsächlich deutlich besser, in stressigen Situationen gelassen zu reagieren und durch ein kurzes Innehalten und Durchatmen den Autopiloten umgehend wieder abzustellen. So fungiert Resilienz wie ein wirksamer Schutzschild gegen akuten Alltagsstress. Wer das gerne ausprobieren möchte: eine kurze Anleitung zu dieser Technik findet sich hier: https://hbr.org/2011/04/resilience-for-the-rest-of-us.  

Mentale Stärke und Resilienz schützen also wirkungsvoll vor den Belastungen unseres Alltags.

Sind sie vielleicht die Lösung für unser Problem von Überlastung und chronischem Stress in der Arbeitswelt? So verführerisch das klingen mag, ich halte diesen Gedanken für problematisch, und das aus drei Gründen:

1. Die Unternehmen sind beim Thema Stress genauso in der Pflicht wie der Einzelne.

Unternehmen können ihre Beschäftigten mit Resilienz-Trainings gut darin unterstützen, besser gegen die Belastungen ihres Jobs gewappnet zu sein. Es befreit sie aber nicht von ihrer Verantwortung, für ein Arbeitsumfeld zu sorgen, dass erst gar nicht zu einer permanenten Überlastung führt. Hurtienne und Koch sprechen in diesem Zusammenhang davon, im Grundsatz müssen zunächst die Verhältnisse so weit wie möglich verbessert werden, bevor erwartet wird, dass der Einzelne sein Verhalten anpasst. Resilienz ist also ein wichtiger Baustein, aber nicht die alleinige Lösung für das Problem mit dem Dauerstress. Ein ganzheitlicher Ansatz ist notwendig, um permanente Überlastung nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf Team-Ebene und wo möglich und nötig auf Ebene des gesamten Unternehmens anzugehen.

2. Je nach Art der Belastung reichen auch große Ressourcen an Resilienz nicht aus

Es wird schlicht nicht jedem gelingen, das notwendige Maß an mentaler Stärke und Resilienz zu entwickeln, um gesundheitlich unbeschadet einer Dauerbelastung standzuhalten. Hierbei spielt auch eine Rolle, um welche Art der Belastung es sich überhaupt handelt.

Eine sehr hohe Arbeitsbelastung allein können viele Menschen auch über einen sehr langen Zeitraum gut bewältigen. Dafür müssen aber andere Faktoren wie Sinnhaftigkeit, Wertschätzung, Teamzusammenhalt und Erfolgserlebnisse passen. Zudem hilft eine ansonsten weitgehend gesunde Lebensweise. Stichpunkte sind ausreichend Sport, Schlaf und Pausen zur Regeneration, gesunde Ernährung sowie Hobbies und ein gutes privates Netzwerk aus Familie und Freunden. Werden diese Punkte über einen längeren Zeitraum vernachlässigt, helfen auch Resilienz und mentale Stärke nicht mehr gegen die Folgen von chronischem Stress. Kritisch wird es dagegen, wenn jemand nicht nur mit viel Arbeit, sondern auch mit weiteren Herausforderungen konfrontiert ist. Bei Konflikten am Arbeitsplatz, mangelnden Perspektiven, Mikromanagement und anderen Arten von Leadership-Versagen, oder auch bei persönlichen Sorgen und Problemen können auch die größten Ressourcen an Resilienz irgendwann aufgebraucht sein!

3. Arbeiten auf Kosten der Gesundheit – immer mehr Menschen sagen dazu: Nein!

Eine Studie nach der anderen zeigt, dass viele Menschen gar nicht mehr bereit sind, für den beruflichen Erfolg alles andere zu vernachlässigen. Vor allem nicht die eigene Gesundheit. Egal, wie viel mentale Stärke und Resilienz sie haben, sie möchten sich dieser hohen und dauerhaften Belastung gar nicht aussetzen. Dies trifft ganz besonders auf die jüngere Generation zu. Lea Schönborn schreibt dazu im SPIEGEL über die Generation Z: „Viele junge Menschen verweigern sich der 40-Stunden-Woche. Manch einer hält uns deshalb für vergnügungssüchtig. Dabei wehren wir uns lediglich gegen eine Arbeitsmoral, die krank macht.“

In Zeiten des Fachkräftemangels wird eine Kultur, die kein gesundes Arbeitsumfeld verspricht, zu einem strategischen Wettbewerbsnachteil!

Im Gallup Engagement Index 2021 wird das eindrücklich mit Zahlen hinterlegt. Von 1500 befragten Beschäftigten gaben 38% an, dass sie in den vergangenen 30 Tagen das Gefühl hatten, aufgrund von Arbeitsstress innerlich ausgebrannt gewesen zu sein. Parallel erreicht die Wechselbereitschaft neue Höchstwerte. 40% der Beschäftigten sind entweder aktiv auf Jobsuche oder schauen sich zumindest nach neuen Optionen um und sind offen für Angebote. Schon jetzt führt ein Mangel an Personal zu spürbaren Einschränkungen bei vielen Unternehmen. Dabei kommt der seit knapp 2 Jahrzehnten postulierte „war for talent“ gerade erst so richtig in Schwung!

Resilienz und mentale Stärke sind unschätzbar wichtige Ressourcen für den Einzelnen, um den hohen Belastungen der heutigen Arbeitswelt standzuhalten. Daher beschäftigt sich eines der vier Module von BetterBraincare genau mit diesem Thema – es heißt „Build your resilience“.

Aber das Problem von dauerhaftem Stress und permanenter Überlastung bekommen wir durch mehr Resilienz beim Einzelnen nicht in den Griff. Wir müssen auch an die Verhältnisse in den Unternehmen ran! Allerdings bleibt in Zeiten von Wettbewerbs- und Kostendruck meist wenig Spielraum, die Arbeit schlicht auf mehr Leute zu verteilen. Daher sind Verbesserungen und Entlastungen im bestehenden System notwendig. Genau deshalb gibt es im Programm von BetterBraincare auch einen Baustein, der dieses Thema angeht. Er heißt „Battle your load“ – für mehr Fokus auf wertschöpfende Arbeit, dafür weniger Hamsterrad, interne Nabelschau und Aufreiben im Kleinen.

Quellen

Coutu, D. (2002): How resilience works, in: Harvard Business Review

Gallup Institute (2022): Gallup Engagement Index 2021 Deutschland

Goleman, D. (2011): Resilience for the rest of us, in: Harvard Business Review 

Heimsöth, A. (2022): Kopf gewinnt.

Hurtienne, J., Koch, K. (2018): Resilienz: ein schädlicher Begriff für den Umgang mit Stress am Arbeitsplatz?, in: Karidi, M., Schneider, M., Gutwald, R. (Hrsg.): Resilienz – Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel und Transformation, S. 141-157.

Ovens, A. (2015): What resilience means, and why it matters, in: Harvard Business Review

Schönborn, L. (2022): Teilzeit ist nicht gleich Aperol-Zeit, https://www.spiegel.de/start/teilzeit-arbeiten-als-berufseinsteiger-warum-das-kein-zeichen-von-faulheit-ist-a-39a9aef2-a346-4cec-837c-67d37b6828f5 (Stand: 10.06.2022)